Publikation mit
freundlicher Genehmigung
der Lokalredaktion Radeberg

Sächsische Zeitung
Samstag, 4. Juni 2005


Bildergalerie
So sehen die ersten fertigen Wandteppiche aus, die im Großröhrsdorfer Technischen Museum gewebt worden sind.Foto: Michael Trapp/Archiv 


Leben im Teppich
Von Jens Fritzsche

Lebenslinien. Ab Oktober sollen Teppiche in der Frauenkirche Episoden aus dem Leben erzählen. Geschichten von Frauen. Auch aus Ullersdorf.

Wenn die Frauenkirche in Dresden im Herbst geweiht wird, dann wird auch ein Stück Ullersdorf in dem Gotteshaus stecken. Ein unscheinbares Stück zwar, aber dennoch ein Stück Ullersdorf. Und "Schuld" daran ist Kathrin Kunze. Die Ullersdorferin ist Mitglied im Verein "Frauen im Handwerk Dresden e.V.", und in diesem Verein war vor einiger Zeit eine wirklich interessante Idee geboren worden. Die Idee, der Frauenkirche (die ja im Prinzip nur von Männern wieder aufgebaut worden ist) auch ein Stück frauliche Seele einzuhauchen. Was dabei sehr pathetisch klingt, ist eine eigentlich ganz einfache, aber umso begeisternde Sache: Frauen sollen ein Stück Stoff abgeben, zu dem sie eine ganz besondere Geschichte erzählen können. Ein Stück Kleidung, das sie bei einem ganz besonderen Ereignis getragen haben, einem fröhlichen, einem traurigen, einem berührenden. Nicht einfach ein Stück Stoff also, sondern ein Stück Leben. Diese Stoff-Stücke (jedes etwa 70 Zentimeter lang und gut fünf Zentimeter breit) werden in Großröhrsdorf auf einem historischen Webstuhl zu Wandteppichen gewebt. Im Technischen Museum, wo noch heute Webstühle an die einst so erfolgreiche Weberei-Industrie in der Stadt an der Röder erinnern.

Gewebt werden die Wandteppiche dabei auch von Frauen. Von Frauen, die einst als Weberinnen gearbeitet haben. Und sie tun es, ohne einen Cent dafür zu verlangen! "Ohne diese vier Frauen und ihr wirklich unheimlich großes Engagement wäre unsere Idee nicht zu realisieren gewesen", schwärmt Heidi Geith vom Verein, bei der die Fäden der Aktion zusammenlaufen.

Acht solcher Teppiche sollen es im Oktober dieses Jahres sein, die dann in einem Raum in der Empore des Dresdner Gotteshauses ihren Platz finden werden. An einer Glaswand werden sie hängen, damit Vorder- und Rückseite gut zu sehen sind. Und die Geschichten, die die Frauen zu ihren Stoff-Stücken erzählt haben, die sollen dann in einer Broschüre nachzulesen sein.

Eingewebte Geschichte

Eine Geschichte wird dabei eine Geschichte aus Ullersdorf sein. Die Geschichte von Kathrin Kunze eben. "Ich habe ein Stück des Kostüms abgegeben, das ich zur Jugendweihe meiner Kinder getragen habe", erzählt sie. Ein rührender Augenblick, ein wichtiger Tag, sagt sie. "Und wenn es mich mal nicht mehr gibt, dann können meine Kinder und Enkel in die Frauenkirche gehen und sagen: guck mal, in diesem Teppich ist eine Geschichte aus unserer Familie mit eingewebt."

Vier Teppiche fertig

Im Moment sind vier Teppiche fertig, bis Ende August sollen auch die restlichen vier gewebt sein. Und es wird dazu noch reichlich Stoff gebraucht, wirbt Heidi Geith um weitere Unterstützung. Etwa 500 Frauen haben bisher schon Stoff-Stücke abgegeben. "Manche auch mehrere", verrät Heidi Geith, die auch die dazu erzählten etwa 120 Geschichten in ihrem Computer gesammelt hat. Geschichten, wie die von Kathrin Kunze aus Ullersdorf. Oder die einer Frau, die ein Stück Stoff abgegeben hat, das einst den Stubenwagen ihrer Kinder umspannte. Geschichten aus dem Leben. Geschichten aus der Zeit vor der Wende, der Nachkriegszeit oder dem Heute.

Beige und weiß gefragt

"Dringend werden jetzt vor allem noch beige und weiße Stoffe gebraucht", erzählt Heidi Geith. "Denn jeder Teppich beginnt mit beigen Farben und endet mit weißen." Und die Farben dazwischen werden dann so gewebt, "dass die Teppiche, wenn sie nebeneinander hängen, eine farbliche Linie ergeben." Eine Linie, die das Leben von Frauen nachzeichnet. Auch deshalb nennt sich das Projekt Lebenslinien.

Und so werden in Dresden bald wieder einmal Weber für Aufsehen sorgen. Diesmal aber nicht die Dresdner Weber auf der Bühne des Schauspielhauses.



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